Ein feuriger Abend mit Irina & Gadjos Herzogenbuchsee Ein Konzertabend im «Chäferchäuer», der hält, was er verspricht
Kurz vor acht Uhr am Samstagabend betrete ich das neue Kultlokal für Kleinkunst in Herzogenbuchsee, den «Chäferchäuer». Es sind zwei Keller im Grundriss des Wohnhauses von Paul Born, dem vor 100 Jahren wirkenden Kaufmann und akribischen Käfersammler. In kurzer Zeit haben Andy und Catherine Steiner die zwei Kellergewölbe zu einem Treffpunkt für Kleinkunst aufgebaut. Erwartungsvoll betrete ich das Kleintheater. Der Raum ist leer. Kein Publikum heute Abend? Dem ist nicht so. Die Gäste plaudern noch in der Bar nebenan, denn diese gehört zum «Chäferchäuer». Die Einstimmung vor und das Plaudern in der Pause und nach einer Vorführung gehören mit zum stimmungsvollen Markenzeichen. Ich bleibe nicht lange allein. Wenige Minuten nach acht ist der Keller besetzt, und das Trio Irina & Gadjos legt los. Vorerst zirpt der «Fiddler» Christoph Habegger und klimpert der Akkordeonist Jüre Walter eine stimmige Einleitung; die Sängerin Irina hält sich im Hintergrund.
Doch es werden nicht jiddische Melodien erklingen, sondern amerikanische, italienische und vor allem Lieder der Roma. Und da tritt die ganz in Rot gekleidete Sängerin Irina in Aktion. Vom ersten Ton an zieht sie mit ihrer rauchigen und voluminösen Altstimme das Publikum in ihren Bann. Als Louis Armstrongs «Cabaret» erklingt und Edith Piafs «Sous le ciel de Paris», befinden wir uns mitten in einem musikalischen Happening. Irina lockert die Lieder mit kurzen Kommentaren in Hochdeutsch mit slawischem Akzent auf. Der Humor kommt dabei keineswegs zu kurz: Als Jüre Walter vom Akkordeon zum Kontrabass wechselt, gerät er mit dem Kopf an eine Wandkerze und kriegt eine Wachsspur auf sein kurzes krauses Haar. Ein Handtuch sollte Abhilfe schaffen; Jüre legt es sich um den Kopf. «Jetzt siehst du aus wie MutterTheresa», witzelt Irina. «After you've gone» heisst das nächste Lied. «Ein Lied, das man zu einer Scheidung singen sollte», meint Christoph Habegger . Normalerweise laufen diese aber ohne musikalische Begleitung ab. Beim Romalied «Swiodetschka» animiert Irina das Publikum zum Mitklatschen, und bei «I saw stars» darf der Bass mitgesungen und mit den Fingern geschnippt werden. Die Begeisterung fürs Mitklatschen hält an, und so gehen die oft fein ziselierten Begleitungen von Geige und Akkordeon im Klatschen manchmal etwas unter. Wie aber kommen zwei waschechte Berner zu der feurigen Zigeunerin? Zarte Bande zum «Fiddler» und eine kleine Preisgabe ihrer Herkunft lösen das Rätsel. Ihr Vater, erzählt Irina, sei als zwölfjähriger Bub zu einer Familie ins Emmental gekommen. Und sie habe nun mal Zigeunerblut in sich. Aber ihre zwei Begleiter sind nicht Roma, sondern «Gadjos» eben. In der Pause spreche ich die Künstler an. Irina antwortet in bestem Berndeutsch. Der slawische Akzent im Hochdeutschen - ein Markenzeichen?
BERNER RUNDSCHAU, Montag, 26. April 04 |